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  • Militärfriedhof Erablur in Eriwan, auf dem viele armenische Kriegshelden begraben liegen. Bild: Jacques Berset, "Kirche in Not (ACN)"
  • Armenien: Die Religion ist noch immer stark im Volk verankert. Bild: Jacques Berset, "Kirche in Not (ACN)"
  • In Maralik, zwei Überlebende von Berg-Karabach, rechts ein traumatisierter ehemaliger Soldat. Bild: Jacques Berset, "Kirche in Not (ACN)"
  • In Maralik sortiert die Stadtverwaltung die Waren für die Flüchtlinge aus Berg-Karabach aus. Bild: Jacques Berset, "Kirche in Not (ACN)"
  • Bei einer Flüchtlingsfamilie aus Berg Karabach. Bild: Jacques Berset, "Kirche in Not (ACN)"
  • Kloster von Dadivank. Bild: Jacques Berset, "Kirche in Not (ACN)"

Christliche Bevölkerung in Berg-Karabach von ihrem angestammten Land vertrieben

Nagorno-Karabach, eine armenische Enklave in Aserbaidschan, wurde nach einer Blitzoffensive der aserbaidschanischen Streitkräfte und der anschliessenden Kapitulation der Republik Artsach am 20. September in den Ausläufern des Kleinen Kaukasus innerhalb weniger Tage entvölkert.

Jacques Berset, zurück aus Armenien, für «Kirche in Not (ACN)» CH/FL

Nagorno-Karabach innerhalb weniger Tage entvölkert

Innerhalb weniger Tage oder Stunden flohen etwa 120.000 verängstigte Armenier vor den Angriffen der aserbaidschanischen Soldaten und liessen ihr gesamtes Hab und Gut zurück: Wohnungen, Häuser, Ernten, Haustiere, Kuh- und Schafherden. 
Die ausgeblutete armenische Bevölkerung Berg-Karabachs wurde durch die neunmonatige Blockade erdrosselt, ständig bombardiert, es fehlte an Nahrung und Medikamenten, und sie wurde auf die Flucht getrieben. Bei wahllosen Bombenangriffen in den Regionen Askeran und Martakert waren Schulen und Kindergärten getroffen worden, was zu tragischen Verlusten an Menschenleben führte, darunter auch mehrere Kinder. Im September wurde die Situation für die Zivilbevölkerung unhaltbar und der militärische Widerstand brach innerhalb von zwei Tagen zusammen, was das Ende der angestammten armenischen Präsenz in diesen Bergen bedeutete. 
Die international nicht anerkannte selbsternannte Republik Artsach wurde nach 32 Jahren und mehreren blutigen Kriegen aufgelöst, darunter der am 27. September 2020 begonnene "44-Tage-Krieg", der sie um einen Teil ihres Territoriums verkleinerte. Der erste Krieg um Berg-Karabach von 1988 bis 1994 hatte fast 30.000 Menschenleben gefordert.

"Wir haben keine Hoffnung auf eine Rückkehr in unser Land"

Neben der Blockade und den Bombenangriffen war die Enklave einer regelrechten "spirituellen Belagerung" ausgesetzt, bei der die Gebete eines Imams fünfmal am Tag über starke Lautsprecher übertragen wurden, wie uns Arminé Gmür, Vorstandsvorsitzende der psychosozialen Stiftung Arevamanuk, die sie in Gumri im Nordwesten Armeniens gegründet hatte, erzählte. "Das Ziel war es, Panik unter der armenischen Bevölkerung zu verbreiten, auch durch Hassbotschaften auf Facebook, durch die Weiterleitung der von der aserbaidschanischen Regierung propagierten Armenophobie". 
"Wir haben keine Hoffnung auf eine Rückkehr in unser Land, wir wissen, was die Aseris heute mit unseren Friedhöfen machen: Sie zerstören unsere Gräber, entfernen die Kreuze von unseren Kirchtürmen...". Rouzane empfängt uns in ihrer notdürftigen Unterkunft in Metsavan, einem ländlichen Dorf in der Provinz Lori mit fast 5.000 Einwohnern ganz im Norden Armeniens, nahe der Grenze zu Georgien. 
Rouzane stammt aus einem Dorf in der Region Askeran, 9 km von Stepanakert entfernt, das einst die Hauptstadt von Bergkarabach war, das die Armenier Artsakh nennen. Seit der Einnahme durch Aserbaidschan heisst Stepanakert nun Khankendi und die Insignien der armenischen Souveränität wurden getilgt.

Eine unsichere Unterkunft

Ein leerstehendes Haus wurde gerade - für sechs Monate - von der Gemeinde Metsavan an Rouzanes Familie mit drei Kindern und an ein anderes Paar mit einem Sohn, dessen Frau schwanger ist, vergeben. Die beiden Familien leben in dem veralteten Haus ohne Heizung. "Der abwesende Hausbesitzer gab der Stadtverwaltung sein Einverständnis, dass wir vorübergehend in seinem leerstehenden Haus untergebracht werden können. Die Stadtverwaltung hat den Strom wieder installiert, aber es gibt weder Gas noch Wasser. Und der bevorstehende Winter ist hart auf einer Höhe von fast 1.600 Metern!"

Wie «Kirche in Not (ACN)» tätig ist

Für Bischof Mikael Bassalé, Apostolischer Administrator des armenischen Ordinariats in Osteuropa,  hat die Nothilfe prioriät. Die Flüchtlinge müssen Zugang zu verschiedenen Formen von Wohnraum und Unterkünften erhalten. Angesichts des nahenden Winters, der in den Bergregionen, in denen viele Flüchtlinge aufgenommen wurden, sehr hart sein kann, ist dies überlebenswichtig. 
Die Koordination und Verteilung der Hilfe erfolgt von Gumri aus, durch Bischof Bassalé oder die Priester des Ordinariats, die in den Regionen präsent sind und als Ansprechpartner für die Flüchtlinge fungieren. Sie setzen sich dafür ein, dass in den Dörfern oder Städten Häuser oder Wohnungen zur Miete gefunden werden. Das Engagement der sehr kleinen katholischen Gemeinde ist ein Zeichen der Solidarität in diesen schwierigen Zeiten, die Armenien durchmacht. Bisher hat «Kirche in Not (ACN)» in Partnerschaft mit dem armenischen Ordinariat für Osteuropa einen Gesamtbetrag für Nothilfe in Höhe von 150.000 Euro zur Verfügung gestellt.

Die Geschichte neu schreiben

Die meisten Armenier (92%) gehören der Armenisch-Apostolischen Kirche an, der der am Heiligen Stuhl residierende Katholikos von Etschmiadzin vorsteht, während die armenisch-katholische Kirche, die eine sehr kleine Minderheit darstellt, etwa 14.000 Gläubige zählt, die von 16 Priestern im Land und 23 Ordensschwestern betreut werden.  
Die Bedrohung des reichen kulturellen Erbes der Region Berg-Karabach ist besorgniserregend, stellte «Kirche in Not (ACN)» bereits in seinem 16. Bericht über die Religionsfreiheit in der Welt fest, der im Juni 2023 veröffentlicht wurde. Die jahrtausendealte Präsenz der Armenier auf dem Gebiet von Bergkarabach, die durch ihre Denkmäler, Kirchen, Klöster und Friedhöfe belegt ist, droht ausgelöscht zu werden.

Im Bericht über die weltweite Religionsfreiheit von«Kirche in Not (ACN)» wurde festgestellt, dass Aserbaidschan behauptet, die jahrhundertealten armenischen Kirchen in der Region seien in Wirklichkeit ein Erbe der "Kaukasus-Albaner", und zu diesem Zweck eine neue Kommission aus Historikern und Architekturexperten einsetzt, "deren Aufgabe es ist, Berg-Karabach von einem angeblich 'erfundenen' armenischen Erbe zu befreien". 
Dieser noch immer andauernde Revisionismus entwickelte sich in Aserbaidschan während der Sowjetzeit mit dem Ziel, das armenische Erbe von Bergkarabach zu leugnen und die jahrhundertealte armenische Existenz in Aserbaidschan auszulöschen und durch das untergegangene Christentum der "Kaukasus-Albaner" zu ersetzen. So wurde das armenische Kloster Dadivank, das zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert erbaut wurde und sich in der aserbaidschanischen Region Kelbadschar befindet und 2020 nach dem "44-Tage-Krieg" von den Armeniern zurückerobert wurde, von den aserbaidschanischen Behörden an die Kirche der "Kaukasus-Albaner" übergeben, wobei der armenische kulturelle Charakter des Klosters geleugnet wurde. Armeniern ist es beispielsweise seit Mai 2021 nicht mehr erlaubt, das Kloster Dadivank zu betreten. Die armenischen Geistlichen wurden auf Anordnung des Staatlichen Komitees für religiöse Vereinigungen der Republik Aserbaidschan aufgefordert, das Gelände zu verlassen.

Wiege der armenischen Zivilisation
Die Bewohner der selbsternannten armenischen Republik Artsach nahmen schon früh das Christentum an, allerdings erst nach dem Königreich Armenien, das im Jahr 301 den offiziellen Titel des ersten christlichen Staates der Welt beanspruchte, nachdem sich König Tiridates IV. vom heiligen Gregor dem Erleuchter taufen liess. Die Region Bergkarabach wurde Anfang des 19. Jahrhunderts vom Russischen Reich erobert und 1921 von Stalin an Aserbaidschan, das damals Teil der UdSSR war, angegliedert, wodurch ihr ein autonomer Status garantiert wurde. 
Die Appelle von Papst Franziskus, die Bevölkerung in dem Gebiet, das mit seinen Hunderten von Kirchen, Klöstern und Grabsteinen aus dem 11. bis 19. Jahrhundert die Wiege der armenischen Zivilisation war, zu respektieren, blieben erfolglos. Ebenso wurden die Ermahnungen des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) für "das Recht der Vertriebenen auf Rückkehr in das Land, in dem sie mit ihren Traditionen aufgewachsen sind", sowie die Appelle der Protestantischen Föderation Frankreichs, der Französischen Bischofskonferenz und der Versammlung der orthodoxen Bischöfe Frankreichs ignoriert.